Qualifikationsmix in der Pflege
Eine gute Gesundheitsversorgung braucht professionelle Pflegefachpersonen mit unterschiedlichen Qualifikationen – auch akademischen Abschlüssen. Die Robert Bosch Stiftung erprobt in einem Projekt den Qualifikationsmix. Ein Interview mit Eva-Verena Lindenau und Kerstin Kohlbeck vom Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, die dort an der Umsetzung beteiligt sind.
Spitzenmedizin und Spitzenpflege prägen eine moderne und zukunftsfähige Gesundheitsversorgung. In Deutschland erfordern das Krankheitsspektrum und die demografische Alterung verstärkt Investitionen in differenzierte Qualifikationen der professionellen Pflege. Die Robert Bosch Stiftung hat in ihrem Programm „360° Pflege – Qualifikationsmix für den Patienten – in der Praxis“ Modelle entwickelt, wie Pflegefachpersonen unterschiedlicher Qualifizierungsniveaus und einschließlich akademischer Kompetenz bedarfsgerecht in der Pflegepraxis eingesetzt werden können. Zu den sieben Leuchtturmprojekten, die diese Modelle nun erproben, gehört auch das Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK).
Die Pflegewissenschaftlerin Eva-Verena Lindenau ist Mitarbeiterin der Pflegedirektion und begleitet die Umsetzung des Programms im RBK. Kerstin Kohlbeck ist Gesundheits- und Krankenpflegerin mit einem Bachelor in angewandten Gesundheitswissenschaften. Seit August 2020 ist sie auf der Station für Nephrologie und Kardiologie Teamleiterin für Prozesssicherung – einer neu geschaffenen Stelle für Bachelor-Absolvent:innen pflegebezogener Studiengänge.
Hier berichten sie von ihren Erkenntnissen und Erfahrungen mit dem Qualifikationsmix in der Pflege:
Das Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) hat im Rahmen des Projekts „360° Pflege – Qualifikationsmix“ der Robert Bosch Stiftung ein neues Stellenprofil geschaffen: die Teamleitung in der Pflegeprozesssicherung. Was genau macht diese Teamleitung?
Kerstin Kohlbeck: Ich betreibe vor allem Schnittstellen-Management. Dabei stelle ich zum einen sicher, dass alle, die an der Versorgung eines Patienten auf meiner Station mitwirken, in jeder Situation gut eingebunden und informiert sind. Als Ansprechpartnerin für alle Bereiche vermittele ich Wissen, hole nötige Informationen ein und tausche mich regelmäßig mit den verschiedenen Berufsgruppen im RBK aus. Zum anderen schaue ich, wie Abläufe und Strukturen verbessert werden können.
Ich bin fest in der direkten Patientenversorgung tätig, um mir einen eigenen Eindruck zu verschaffen und um die Pflegeprozess- und Qualitätssicherung verantwortlich mitzusteuern. Ich mache Kurzfortbildungen auf der Station und begleite auch mal eine Pflegeperson für ein oder zwei Stunden, um zum Beispiel ganz konkret an einem Patienten die Kriterien einer Wunderversorgung zu erklären. Zudem gehört die Evaluation zu meinen Aufgaben, wie auch die korrekte Abbildung der pflegerischen Leistung in der digitalen Kommunikation.
Eva-Verena Lindenau: Die Teamleitungen haben durch ihre Bachelor-Qualifikation Wissen erworben, dass sie nun auf den Stationen weitergeben und in die Praxis bringen. Zudem sehe ich die Teamleitungen als Vorbilder, die das Pflegehandeln nochmals anders gestalten, da sie ihren Schwerpunkt auf die Wissensvermittlung und Patientenedukation legen und dabei auch die Angehörigen im Blick haben. Sie sind ein Treiber für Wissenserwerb, aber auch für eine regelmäßige Reflektion des pflegerischen Handelns. Sie gestalten und initiieren damit Veränderungen in der interprofessionellen Zusammenarbeit.
Warum hat das RBK das neue Stellenprofil der Teamleitung entwickelt?
Eva-Verena Lindenau: Wir haben im Haus viele Studierende und akademische Absolvent:innen im Bereich der Pflege. Die möchten wir zum einen an uns binden und zum anderen ihren Kompetenzen gerecht einsetzen. Bislang gibt es in Deutschland immer noch wenige Stellen und Profile für Bachelor-Absolvent:innen. Also haben wir beschlossen, selber so ein Stellenprofil zu schaffen.
Eva-Verena Lindenau (Bild: RBK)
Kerstin Kohlbeck (Bild: RBK)
2017 haben wir uns bei der Robert Bosch Stiftung für das Programm „360° Pflege – Qualifikationsmix“ beworben, um mit der Unterstützung der Stiftung unsere Kompetenzprofile zu schärfen und eine Matrix für die Karriereentwicklung aufzubauen. 2019 haben wir dann im Rahmen des Projekts das Stellenprofil der Teamleitung in der Pflegeprozesssicherung entwickelt und eingeführt. Es richtet sich an Bachelor-Absolvent:innen mit mindestens einem Jahr Berufserfahrung. Aktuell haben wir 16 Teamleitungen flächendeckend auf allen Stationen eingesetzt. Für uns ist diese Stellenentwicklung und Umsetzung ein echter Meilenstein.
Eva-Verena Lindenau
Wir setzen auf einen breiten Qualifikationsmix, haben Fachkräfte von der Pflegeassistenz bis hin zur Pflegeperson mit Master-Abschluss eingestellt. Die Arbeitsverdichtung im Bereich der Pflege wird immer höher, die pflegerischen Bedarfe komplexer. Deshalb müssen wir von dem Denken wegkommen, dass alle Pflegenden alles erledigen können und müssen. Es gibt heute so viele Zusatzqualifikationen, die bedacht werden sollten.
Wie gestaltet sich heute der Qualifikationsmix in der Pflege des RBK?
Eva-Verena Lindenau: Wir setzen auf einen breiten Qualifikationsmix, haben Fachkräfte von der Pflegeassistenz bis hin zur Pflegeperson mit Master-Abschluss eingestellt. Die Arbeitsverdichtung im Bereich der Pflege wird immer höher, die pflegerischen Bedarfe komplexer. Deshalb müssen wir von dem Denken wegkommen, dass alle Pflegenden alles erledigen können und müssen. Es gibt heute so viele Zusatzqualifikationen, die bedacht werden sollten.
Kerstin Kohlbeck: Wir stehen in einer engen Vernetzung, das macht unseren Qualifikationsmix aus. So bekomme ich zum Beispiel durch den regelmäßigen Austausch mit, wenn etwas nicht gut funktioniert – und kann im Idealfall Abhilfe schaffen. Zum Beispiel durch die Organisation von Kurzvorträgen durch passende Experten. Um die Vorteile des Qualifikationsmix auch für die Patienten deutlich zu machen, haben wir zum Beispiel die Übergabe am Pflegebett eingeführt. So wissen die Patienten, wer für welchen Bereich der richtige Ansprechpartner ist und sind über den weiteren Tagesablauf informiert. Dabei beurteilen wir gemeinsam, in welcher Phase der Erkrankung der Patient sich gerade befindet, was braucht er oder sie, wen sollten wir vielleicht noch dazu holen. Durch den Qualifikationsmix können wir diese Kompetenz der Pflege nach vorne bringen und den Patienten stärker in den Fokus setzen.
Welche Erkenntnisse hat das RBK im Rahmen des Projekts „360° Pflege – Qualifikationsmix“ bislang gewonnen?
Eva-Verena Lindenau: Die Einführung der Teamleitung wird von allen Berufsgruppen in unserem Haus stark honoriert. Die Mitarbeitenden schätzen die zuverlässige Erreichbarkeit und die Verantwortungsübernahme der 16 Teamleitungen. Diese wiederum sehen ihr Handlungsfeld als Chance, wirkungsvolle Maßnahmen unmittelbar und patientennah gestalten und umsetzen zu können. Wir haben bereits viel gewonnen, denn zum einen haben die Bachelor-Studierenden nun in unserem Haus ein Berufsziel und eine Perspektive. Zum anderen spüren wir durch die Teamleitungen eine Kontinuität auf den Stationen, mit denen sie Themen nachhaltig umsetzen und vorantreiben.
Kerstin Kohlbeck: Es zeigt sich, wie wichtig die Kommunikation ist – vor allem im Bereich der Schnittstellen. Denn da kommt es häufig und vor allem zwischen verschiedenen Funktionsbereichen zu Problemen. Die könnte man eigentlich rasch lösen, mit Überblick über die Versorgungsbedarfe und Prozesse. An dieser Stelle bewähren sich Ansprechpartner wie die Teamleitungen, die sich mit Fokus auf die beste Lösung für die Patienten mit allen Bereichen austauschen und vermitteln können.
Das Interview führte Alexandra Wolters.
Projektverantwortliche Robert Bosch Stiftung: Teresa Richter (Teresa.Richter@bosch-stiftung.de; Tel.0711 46084-310)
Mehr zum Thema interprofessionelle Pflege auf dem Deutschen Pflegetag:
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