Pflegepraxis - offen für Neues
Unsere Welt verändert sich rasant, nicht zuletzt auch in der professionellen Pflege. Doch wie kommen Innovationen eigentlich in die Praxis - und wie können wir sicherstellen, dass Veränderung zum echten Fortschritt wird? Ein Interview mit Dr. Johanna Feuchtinger, Konsortialführerin des Pflegepraxiszentrums Freiburg.
Unsere Gesellschaft, ihre Demografie, Technologien und medizinische Erkenntnisse ändern sich immer stärker und schneller. Das beeinflusst auch das Berufsbild der Pflege, die an der Schnittstelle vieler gesellschaftlicher, wissenschaftlicher und technologischer Felder steht. Die alltägliche Praxis ist ständigen Veränderungen ausgesetzt – sei es durch Verordnungen und Gesetze, technische Innovationen, neue Formen der Zusammenarbeit im Team oder medizinische Erkenntnisse. So positiv Fortschritt ist, wirft er aber auch viele Fragen auf und stellt die in der Pflege Tätigen vor Herausforderungen: Wie können neue Prozesse und Innovationen gut in den Arbeitsalltag integriert werden? Und welche verbessern und erleichtern die Berufsausübung tatsächlich?
Antworten darauf sucht zum Beispiel das Pflegepraxiszentrum Freiburg (PPZ). Dort werden innovative Technologien in der Pflege ausprobiert und evaluiert; getragen von den Partnern Universitätsklinikum Freiburg (Pflegedirektion, Projektleitung), Universität Freiburg (Institut für Pflegewissenschaft), Hochschule Furtwangen und dem Institut Alter, Gesellschaft, Partizipation (AGP) an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Wir haben mit der Konsortialführerin Dr. Johanna Feuchtinger über die Arbeit des PPZ gesprochen.
Innovationen und Technologien durchlaufen üblicherweise bereits zahlreiche Testprozesse, bevor sie auf den Markt kommen. Warum ist es trotzdem wichtig, dass sie in Einrichtungen wie dem PPZ dem Praxistest unterzogen werden?
Dr. Johanna Feuchtinger: Ein Hilfsmittel kann bei unterschiedlichen Patient*innengruppen unterschiedlich einsetzbar und wirksam sein. Ist es z.B. sinnvoll, ein Hilfsmittel zum Mobilitätsmonitoring bei Intensivpatient*innen einzusetzen, wo die Pflegenden kontinuierlich bei ihren Patient*innen sind und die Bewegungsfähigkeit bzw. den Positionierungsbedarf im Blick haben? Oder wäre es wesentlich effektiver bei neurologisch erkrankten Patient*innen, welche z.B. sturzgefährdet sind oder sich aufgrund anderer Einschränkungen zu wenig selbst druckentlastend bewegen können. Wir brauchen Studien zur Wirksamkeit von Hilfsmitteln bevor wir entscheiden können, bei welchen Patient*innen sie eine Unterstützung darstellen.
Im Weiteren sehen wir immer mehr, dass Hersteller die Einrichtungen quasi als Beta-Tester nutzen. Die Grundlagen zum Einsatz eines Hilfsmittels sind da, aber Eigenschaften, welche auf den ersten Blick nicht ersichtlich sind, können den Einsatz erheblich erschweren oder unmöglich machen.
Dr. Johanna Feuchtinger, Konsortialführung Pflegepraxiszentrum Freiburg
Woran erkennen Sie, ob eine Innovation einen Mehrwert für die Pflege hat – oder nicht? Und wie messen Sie die Praxistauglichkeit?
Dr. Johanna Feuchtinger: Wir unterscheiden zwischen Gebrauchstauglichkeitstestungen zur ersten Prüfung eines Hilfsmittels im Einsatz und Studien. Für eine Gebrauchstauglichkeitstestung erstellen wir, passend zum Hilfsmittel, eine Checkliste zur Rückmeldung. Hier geht es in erster Linie um die Handhabbarkeit des Hilfsmittels, der Stabilität im Einsatz, erste Wirkungen auf die Patient*innen sowie allgemeine Auffälligkeiten.
Studien folgen den Prinzipien der Forschung. Hier geht es häufig um die Wirksamkeit des Hilfsmittels bei den Patient*innen oder um die Entlastung/Unterstützung der Pflegenden.
Praxiserprobungen sind oft mit „try & error“ verbunden und kosten Zeit. Wie sind die Reaktionen der Mitarbeitenden auf das Projekt?
Dr. Johanna Feuchtinger: Pflegende sind Gottseidank immer wieder für Neues zu begeistern. Und das Universitätsklinikum Freiburg hat so viele Stationen und Mitarbeitende, dass die Last des Ausprobierens gut verteilt werden kann. Und dann sind immer wieder Hilfsmittel dabei, welche wirklich eine Unterstützung darstellen. Das motiviert natürlich, neugierig zu bleiben.
Welchen Boden brauchen Innovationen in der Pflege, um sprießen zu können?
Dr. Johanna Feuchtinger: Es braucht Kümmer*innen, Ehrlichkeit im Miteinander, das Einbeziehen der Pflegenden bereits in der Phase der Sichtung von relevanten Hilfsmitteln und die Unterstützung des Managements. Und weitere Bedingungen orientieren sich wieder am konkreten Hilfsmittel.
Was müsste Ihrer Meinung nach noch erfunden werden?
Dr. Johanna Feuchtinger: Ich träume vom Bett mit Wiegefunktion, Bettausstiegsinformation und Mobilitätsmonitoring mit der Übertragung aller Daten in die elektronische Patient*innendokumentation.