Pflege auf Knopfdruck? So steht es um die Digitalisierung
Bestandsaufnahme nach einem Jahr Pandemie, die nicht zuletzt das Leben und die Arbeitswelt im Schnelldurchlauf digitalisierte. Wir blicken auf Ausbildungseinrichtungen, die Politik und Start-Ups: Was ist neu, was ist überfällig – und wie entsteht eigentlich Innovation?
Spielend Lernen
Die Corona-Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen hat viele Lebensbereiche und Tätigkeiten ins Digitale verlagert – das betraf alle Lernenden besonders: Schüler:innen, Studierende und Auszubildende saßen plötzlich vor dem Bildschirm statt im Klassenraum. Auch wenn eine rein digitale Aus- und Fortbildung in der Pflege natürlich nicht möglich ist, kann sie doch viele theoretische Bereiche abdecken – und vielleicht sogar mehr praktische, als man zunächst denkt. Denn ganz unabhängig vom pandemieerzwungenen digitalen Lernen sind Anwendungen wie virtuelle Simulationen oder Game Based Learning, das Lernen über digitale Spiele, auf dem Vormarsch. Das eröffnet gerade in der Pflege neue Wege zum Lernerfolg: Denn im virtuellen Raum können zum Beispiel über 3D-Simulationen Abläufe und Fertigkeiten sicher und ohne Druck trainiert werden.
Wer das mal in der Praxis ausprobieren möchte, kann beispielsweise die App "Take Care"herunterladen. Das Serious Game simuliert die erste Arbeitswoche einer neuen Pflegefachkraft.
"Die pflegerischen Schwerpunkte konzentrieren sich auf die Arbeit mit demenziell erkrankten Menschen, chronischen Erkrankungen, sowie Multimorbidität. Biographisches Hintergrundwissen als zwischenmenschlicher und pflegefachlicher Zugang zu den Bewohnerinnen und Bewohnern des virtuellen Pflegeheims werden in das Spiel integriert und abgefragt. Auch die Perspektiven von Pflegebedürftigen und Angehörigen werden aufgezeigt und tragen zu einem besseren Verständnis von Pflegesituationen bei. Zudem wird aktuelles Fachwissen in virtuellen Bibliotheken zur Verfügung gestellt, welches in die pflegerischen Entscheidungen einfließen kann",
so Miriam Peters (Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesinsitut für Berufsbildung), die im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Entwicklung der App beteiligt war. Beim Einsatz von Game Based Learning in der Pflegeausbildung sieht sie noch viel ungenutztes Potenzial:
"National wie international existieren derzeit noch wenige im Unterrichtsgeschehen einsetzbare Spiele, die den Anforderungen der Pflegeausbildung gerecht werden. Serious Games stellen eine Erweiterung des Methodenrepertoires dar und können über die Art der Vermittlung möglicherweise auch bei den Lernenden die Motivation erhöhen, sich vertieft mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Auch die Anwendung digitaler Technik selbst wird trainiert, was mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung zukunftsorientiert ist."
App "Take Care", Bild: PTHV gGmbH
Neue Gesetze wollen Digitalisierung fördern
"Beim Thema Digitalisierung im Krankenhaus und in der Langzeitpflege ist in der ablaufenden Legislaturperiode viel passiert. Auffällig ist, dass die Sektoren mit Investitionsmitteln sehr unterschiedlich bedacht werden."
Statement Bundespflegekammer
Die Pandemie hat einmal mehr den Nachholbedarf Deutschlands in Sachen Digitalisierung verdeutlicht. Das hat auch der Bundestag erkannt - am 28. Mai 2021 ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, das digitale Prozesse, Leistungen und deren Abrechnung vereinfacht und neu regelt: das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG).
So wird das eRezept für Arzneimittel nun auch in den Bereichen der häuslichen Krankenpflege, außerklinischen Intensivpflege, Heil- und Hilfsmittel und Soziotherapie eingeführt; eine digitale Patientenkurzakte und die Möglichkeit zur Speicherung digitaler Anwendungen in der elektronische Patientenakte wird - datenschutzrechtlich konform - neu geschaffen. Neu ist auch, dass digitale pflegerische Leistungen und Anwendungen in die Regelversorgung aufgenommen werden können. Dazu zählen beispielsweise Apps zur Sturzprävention oder zum Gedächtnistraining – aber auch Videosprechstunden und telemedizinische Leistungen von Hebammen und Heilmittelerbringern werden künftig vergütet.
Die Digitalisierung von Krankenhäusern will die Bundesregierung mit dem Krankenhauszukunftsgesetz(KHZG) fördern – einem Investitionsfonds von Bund und Ländern mit einem Volumen von bis zu 4,3 Mrd. Euro. Krankenhausträger können bis zum 31.12.2021 Förderanträge stellen, die Vorhaben in den Bereichen digitale Infrastruktur und Notfallkapazitäten betreffen.
So ordnet die Bundespflegekammer die gesetzlichen Neuerungen ein:
"Beim Thema Digitalisierung im Krankenhaus und in der Langzeitpflege ist in der ablaufenden Legislaturperiode viel passiert. Auffällig ist, dass die Sektoren mit Investitionsmitteln sehr unterschiedlich bedacht werden. Die Investitionsförderung in der ambulanten und stationären Langzeitpflege muss deutlich aufgestockt und die geforderten Eigenmittel reduziert werden, aber auch der Krankenhauszukunftsfonds über 2021 hinaus verlängert werden. Begrüßenswert ist, dass die Anbindung der Pflege an die Telematikinfrastruktur vorangetrieben und die verpflichtende Nutzung ab 2024 vorgeschrieben wird. Für die Pflege stellen die Ausweitung von Art und Umfang elektronischer Verordnungen auf Heil- und Hilfsmittel und insbesondere die häusliche Krankenpflege einen wichtigen Mehrwert dar. Halbherzig bleiben die Ansätze bei der Videopflege und der Finanzierung pflegerischer Leistungen rund um digitale Pflegeanwendungen. Hier werden die Potentiale zur Verbesserung der Versorgung noch längst nicht ausgeschöpft."
Digitalisierung gegen den PflEXIT
„Digitale Gesundheitsanwendungen geben den Pflegekräften die Chance, mehr Zeit für das Wesentliche zu haben, nämlich für die zu pflegenden Menschen. Die Pflegekräfte werden entlastet, sie gewinnen Zeit und im besten Fall verbessert sich auch die Qualität ihrer Arbeit."
Oliver Kirst, Geschäftsleiter Servier GmbH
Aber auch in der Praxis tut sich was – auf dem Deutschen Pflegetag treffen Sie Arbeitgeber, Pflegekräfte und Start-Ups vor, die die (digitalen) Dinge selbst in die Hand genommen haben. Sie konnten sich mit ihren digitalen Anwendungen beispielsweise für den i-care-Award von Servier bewerben, der während des Pflegetags verliehen wird. Wie Oliver Kirst, Geschäftsleiter der Servier Deutschland GmbH betont, kann gerade Digitalisierung einen Beitrag gegen den PflEXIT leisten:
„Digitale Gesundheitsanwendungen geben den Pflegekräften die Chance, mehr Zeit für das Wesentliche zu haben, nämlich für die zu pflegenden Menschen. Die Pflegekräfte werden entlastet, sie gewinnen Zeit und im besten Fall verbessert sich auch die Qualität ihrer Arbeit. Kurzum: Die gesamte Pflege wird menschlicher gestaltet – dies wollen wir mit dem „i-care-Award“ unterstützen. Beim DPT 2021 werden zwei innovative digitale Gesundheitsanwendungen ausgezeichnet, die es Pflegenden in ambulanten Pflegediensten, Tagespflegen, stationären Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern ermöglichen, mehr Zeit und Qualität für den direkten Kontakt mit Patienten und Hilfsbedürftigen aufzuwenden und damit die Pflege menschlicher zu machen.“
Laut Oliver Kirst braucht die Pflegebranche drei Dinge, um die Digitalisierung voranzutreiben: Erstens Mut zur Innovation und zu realisieren, dass die Versorgungssituation im deutschen Gesundheitssystem verbessert und sogar an der ein oder anderen Stelle Versorgungslücken geschlossen werden können. Zweitens brauche es Zeit, um digitale Innovationen zu entwickeln und voranzutreiben - und drittens verlässliche politische Rahmenbedingungen, auch bezüglich der Kostenerstattung von digitalen Innovationen. Er blickt optimistisch in die Zukunft:
„In fünf Jahren wird es digitale Rezepte geben, digitale Gesundheitsakten, digitale Plattformen und eine deutlich bessere digitale Vernetzung als heute. Telemedizin und „Apps auf Rezept“ werden dann zum medizinischen Alltag gehören. Anders ausgedrückt: Ich bin davon überzeugt, dass in 5 Jahren die Digitalisierung im Gesundheitssystem absolute Normalität sein wird, so, wie heute der Online-Einkauf.“
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