Auf dem Weg zum papierlosen Pflegedienst
Anett Hüssen ist Geschäftsführerin und Inhaberin der Hauskrankenpflege Dietmar Depner GmbH. Dort versorgen über 200 MitarbeiterInnen (Pflegekräfte und Pflegefachkräfte) unter anderem die Bewohner von 14 Wohngemeinschaften – und zeigen, wie digitale Anwendungen den Arbeitsalltag leichter machen können.
Im Interview mit Anett Hüssen
Deutschland gilt in Sachen Digitalisierung nicht gerade als Vorreiter, erst recht im Pflegebereich. Sie haben die Sache in Ihrem Pflegedienst einfach selbst in die Hand genommen – was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Ich komme ursprünglich nicht aus der Pflege, sondern aus der Finanzindustrie, wo digitale Prozesse die Normalität sind. Im Jahr 2014 bin ich nach 20 Jahren aus der Bankenwelt ausgestiegen. Mein Mann und ich haben, gemeinsam mit Partnern, dieses Unternehmen 2016 erworben und ich führe es seitdem. Gemeinsam mit einer sehr kompetenten Führungstruppe, mit der ich unseren hohen Anspruch an Professionalität umsetzen kann.
Ich selbst habe keinen Pflegehintergrund, aber ich habe mir Fach- und Führungskräfte dafür an Bord geholt. Meine Expertise liegt darin, ein Unternehmen und Menschen zu führen und so kommen zwei Perspektiven zusammen, die sich sinnvoll ergänzen.
Das Unternehmen gibt es seit über 30 Jahren und das Einzige, was ich digitalisiert vorgefunden habe, war der Bereich Abrechnung – ganz einfach deswegen, weil die Kostenträger zum Teil diese Form der Abrechnung schon angeboten haben und ich eine Bankkauffrau als Verwaltungschefin hatte. Aber andere Möglichkeiten sind noch nicht genutzt worden. Ich habe den Betrieb in den ersten drei Jahren restrukturiert, neue Leute an Bord geholt und bin dabei bestätigt worden, dass auch die bisherigen Mitarbeiter Spaß an Weiterentwicklung und Digitalisierung haben. Mein Anspruch an Professionalität kommt ja eher aus Großunternehmen. Die machen auch nicht alles richtig, aber sinnvolle Standards habe ich hier etabliert. Wichtig sind Transparenz und Glaubwürdigkeit. Entscheidungen müssen für alle Beteiligten passen: Klienten, Mitarbeiter und Unternehmen.
Welche digitalen Anwendungen nutzen Ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen momentan?
Unsere Tourenplanung ist beispielweise digital: Die Mitarbeiter, die Touren fahren, haben ein betriebseigenes Smartphone. Da loggen sie sich morgens ein und wissen, wen sie versorgen müssen. Auch die Dienstplanung ist natürlich online, so sieht man die Personalverfügbarkeit auf einen Blick.
Unsere interne Kommunikation läuft ebenfalls digital: Dafür habe ich kürzlich alle Fachkräfte, die Wohngemeinschaften versorgen, mit Smartphones ausgestattet, statt mit den bisherigen Laptops. Mit der Mobilversion unserer Branchensoftware können sie sicher mit den Kollegen und dem Büro kommunizieren. So können sie einfach eine Nachricht schicken und müssen keinen PC hochfahren oder Papier ablegen.
Kundenbedürfnisse und Mitarbeiter müssen auch mal kurzfristig koordiniert werden, so haben wir sehr schnell Informationen für mehrere Empfänger gleichzeitig verfügbar. Transparenz ist ein ganz wichtiges Thema! Bei der Digitalisierung der Pflegedokumentation gehen wir gerade die ersten Schritte. Das ist herausfordernd, weil es nicht nur uns intern betrifft, sondern wir mit Vorgaben der Kostenträger zu tun haben.
Auf welche Hürden sind Sie bei der Einführung gestoßen und wie konnten Sie diese überwinden?
Ganz ehrlich, bei meinen Mitarbeitern eigentlich auf keine. Es macht einen Heidenspaß, die Menschen gehen auch alle toll mit. Die Begeisterung der Leute, dass sich etwas entwickelt, ist spürbar! Menschen sind neugierig und wollen sich entwickeln, zumindest ist das ist mein Menschenbild und meine Erfahrung. Die Menschen sind im Alltag mit Smartphones unterwegs und dann kommen sie zu uns und versinken in Papier – das wäre doch Steinzeit.
Meine Limitierungen liegen vor allem in Verträgen und externen Schnittstellen, weil in den Pflegeprozess unglaublich viele Menschen und Institutionen involviert sind. Die öffentliche Verwaltung in Berlin hat beispielsweise keine sichere E-Mail-Kommunikation, unsere Kommunikation mit Bezirksämtern läuft noch per Fax. Eine weitere Herausforderung ist, dass die Kostenträger unterschiedlich schnell in der Digitalisierung sind. Es nützt mir nichts, wenn ich nur für 20 Prozent unserer Kunden eine Lösung habe - oder viele verschiedene Prozesse parallel existieren, das wäre zu fehleranfällig. Intern kann ich sehr frei entschieden, aber immer, wenn ein Dritter betroffen ist, muss ich schauen, dass ich vertragskonform und kommunikationsfähig bleibe.
Wie ist das Feedback Ihrer Mitarbeiter?
Ich habe das ausdrücklich abgefragt – helfen euch die neuen Prozesse? Sie sind froh, dass sie nicht immer zuerst den Laptop hochfahren müssen und empfinden zum Beispiel das Smartphone als große Erleichterung. Die Leute haben Spaß dran, egal welchen Alters - das ist ganz spannend.
Wichtig ist vor allem, Neues Schritt für Schritt zu testen – ich kann nicht einfach einen Prozess von heute auf morgen umstellen, wir erbringen ja weiter unsere Dienstleistung. Bei der Einführung neuer Technologien belassen wir anfangs unsere klassischen Prozesse und erproben die neuen parallel – so können wir uns sicher weiterentwickeln. Erst schrittweise stellen wir dann um. Das heißt aber auch, wir brauchen Kapazitäten, um Tests durchzuführen und zu begleiten. Ich habe einen Mitarbeiter, der den „Digitalisierungshut“ aufhat. Dieser testet neue Anwendungen aus und ist Ansprechpartner für technische Probleme und Fragen. Sie brauchen einen Spezialisten! Und wenn die Einführung gut ist, gab es bisher keinen wesentlichen Widerstand.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Die Vereinheitlichung von Abläufen und lebensnahe, moderne Prozesse, die auch massentauglich sind. Ich hoffe sehr, dass die Politik da überhaupt eine Chance hat, denn oft laufen diese Entscheidungen ja in der Selbstverwaltung. Mangelnde Digitalisierung in der Verwaltung ist für mich einer der dicksten Brocken. Zum Beispiel: Eine Verordnung kommt vom Arzt per Post zu uns, von uns zum Kunden oder Betreuer, der schickt sie wiederum unterschrieben an uns zurück und wir schicken sie zur Kasse zur Genehmigung. Diese Abläufe kommen aus dem Bereich Krankenpflege und sind einfach nicht gemacht für Anforderungen in der Altenpflege, vor allem für die Menge an Anträgen - der demografische Wandel sprengt diese Prozesse. Es gibt gute erste Digitalisierungsschritte der Genehmigung durch die Krankenkassen, aber aus meiner Sicht muss dieser gesamte Prozess für die Altenpflege optimiert werden.
Was ist Ihre Zukunftsvision für die digitale Pflege in Ihrem Betrieb?
Weniger Papier. Digitale Dokumentation ist dafür zum Beispiel wichtig, weil ich dann nicht mehr jedes Trinkprotokoll als Papier ablegen muss. Oder wenn wir, statt zu faxen, Dokumente einscannen, verschlüsseln und per Mail verschicken könnten. Wir sind ja durchaus an lange Aufbewahrungsfristen gebunden – wenn wir jemand zehn Jahre pflegen, kommt da einiges an Papier zusammen. Das heißt, ich brauche viel Lagerfläche, was wiederum Geld kostet. Mir ist klar, dass das alles wirklich komplex ist und ich bin keine Insel. Null Papier ist eine Vision - aber so papierlos wie möglich ist mein Ziel!
Ein Beitrag von Eva Hasel
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